Welche Kameratechnologie für welchen Zweck?

Eines vorweg: Natürlich gibt es keine eindeutige Antwort auf die eingangs gestellte Frage. Zu unterschiedlich sind die Einsatzbereiche und die Ziele, die Anwender erreichen wollen. Geht es etwa darum, große, aber meist leere Flächen oder weite Strecken möglichst kostengünstig zu erfassen und lediglich Vorgänge zu erkennen? Oder ist es wichtig, hochauflösende Aufzeichnungen aller Bildbereiche zu erhalten und lediglich bei Bedarf in bestimmte Bildbereiche hineinzoomen zu können? Folgender Beitrag versucht, Licht ins Dunkel zu bringen, ein bisschen zu provozieren und zur Diskussion anzuregen.

PTZ: Das Fernrohr – mit offenen Fragen bei Datenschutz und Analyse

Bekanntlich steht die Abkürzung „PTZ“ für die englischen Begriffe „Pan“, „Tilt“ und „Zoom“, also „schwenken“, „neigen“ und „zoomen“. Dank dieser drei Funktionen können PTZ-Kameras Objekte und Personen erfassen und zur genaueren Identifizierung ausgewählte Bildausschnitte durch optisches Zoomen vergrößern. PTZ-Kameras finden vor allem in der Live-Videoüberwachung Verwendung. Sie helfen Vorgänge im Detail zu verfolgen und so zeitnah zu intervenieren. Tatbestände, die außerhalb des gegenwärtig im „PTZ-Fokus“ liegenden Bereiches vorfallen, bleiben allerdings aufgrund technischer Einschränkungen undetektiert. Gerade in hochfrequentierten Bereichen kann dies ein Problem darstellen. Zudem kann ein Systembediener pro Kamerasystem immer nur eine Detailansicht genauer betrachten. In komplexen Situationen benötigt man daher theoretisch genauso viele PTZ-Systeme wie Vorfälle stattfinden, was natürlich nicht realistisch ist. Auch zur Analyse sind PTZ-Kameras ungeeignet, da sich Bildausschnitt und Auflösung – also die Datenqualität – ständig ändern. Datenschutzanforderungen, wie etwa das „Privacy Masking“, lassen sich in der Regel ebenfalls nur unzulänglich erfüllen.

Single-Sensor-Kameras: Herausforderung „Auflösung in der Tiefe“ nach DIN EN 62676-4

Anders verhält es sich bei modernen Megapixel-Kameras. Diese bilden stets das Gesamtbild in oftmals sehr guter Qualität ab und ermöglichen es, große Areale zu überblicken. Die Grundproblematik der Physik aber bleibt: Megapixel-Kameras beobachten trotz teilweise hoher Sensorauflösung bestimmte Szenen, z. B. im hinteren Bildbereich, in wesentlich geringerer Auflösung auf als den vorderen Bildbereich. Bestimmte Anwendungsfälle aber fordern, wie in der DIN EN 62676-4 beschrieben, eine gewisse Mindestauflösung auf der gesamten zu beobachtenden Fläche.

Für gerichtsverwertbare Aufnahmen von Gesichtern z.B. benötigt es mindestens 250 Pixel pro Meter (px/m), für die reine Analyse größerer Objekte lediglich 62,5 px/m. Megapixel-Kameras „verschwenden“ also die wertvolle Ressource „Auflösungsdichte“ im vorderen Bildbereich, während Selbige im hinteren Bildbereich fehlt. Aber auch zusätzliche Kamerasysteme bzw. viele kleinere Kameras mit unterschiedlichen Brennweiten lösen diese Problematik nicht. Die effiziente Integration eben dieser stellt, mit bestehenden VMS-Systemen, ein höchst aufwändiges und zumeist hoffnungsloses Unterfangen dar. Ähnlich verhält es sich bei der Kombination mehrerer großer Megapixel-Systeme, wobei hier aufgrund der beschriebenen „Überkompensation“ von Auflösung schnell die Hardware- und Infrastrukturkosten aus dem Ruder laufen und sich Bandbreite-Problematiken ergeben, die auch bestehende 1 Gbit/s-Netze an ihre Grenzen bringen. Das gilt auch für die Planung, die schnell einen nicht mehr zu vertretendem Aufwand erreichen würde.

Analyse: „Müll rein – Müll raus“

Das Problem „Mindestauflösung für leistungsfähige Analyse“ bleibt bei klassischen Single-Sensor-Kameras ebenfalls unbefriedigend gelöst. Gemäß des bekannten Datenanalyse-Grundsatz „Garbage (Müll) in – Garbage out“ können die Ergebnisse datenverarbeitender Systeme eben nur so gut sein, wie die Qualität der Ursprungsdaten. Für gute Ergebnisse aus der Videoanalyse ist das wesentliche Kriterium für diese Datenqualität eine für die jeweilige Analyseanforderung passende (und idealerweise bereits in der Planung spezifizierbare) Mindestauflösung, eben auch in den hinteren Bildbereichen.

Kombinationslösungen und Multi-Sensor-Systeme

Aufgrund der oben beschriebenen Nachteile bei der Überwachung weiträumiger Areale greifen viele Integratoren auf eine Kombination aus PTZ- und Single-Sensor-Kameras zurück. Eine Alternative bieten sog. Multi-Sensor-Systeme, bei denen mehrere Sensoren und Objektive in einem Gehäuse, meist in einem 180- oder 360-Grad-Winkel, angeordnet sind. Die bekannten Nachteile, wie eine geringe Auflösung in entfernten Bildbereichen, keine hochauflösende Aufzeichnung der Gesamtszene oder keine ausreichende Datenqualität für Analyse über die gesamte Fläche, können jedoch auch diese Systeme nicht zufriedenstellend lösen.

Der große Unterschied: Multi-Sensor ist nicht gleich Multifocal-Sensor

Die patentierte Multifocal-Sensortechnologie (MFS) schließlich, vereint die Vorteile von PTZ- und Megapixel-Systemen. Dabei kombiniert sie mehrere Objektive und Sensoren („Multi“), die alle über eine unterschiedliche Brennweite („Focal“) verfügen, in einem Gehäuse. Die Sensoren decken dabei unterschiedliche Bildbereiche mit unterschiedlichen Brennweiten ab. So können MFS-Systeme auch den hinteren und mittleren Bildbereich mit der gleich hohen Mindestauflösungsdichte abbilden wie Szenen im Vordergrund. Eine leistungsfähige Software kombiniert aus den bis zu acht Einzelbildern ein hochauflösendes Gesamtbild und übernimmt dabei auch die Kalibrierung der Systeme sowie die Zeit- und Bildsynchronisation. MFS-Systeme sind zudem beliebig skalier- und kombinierbar. So lassen sich über die Software sogar mehrere MFS-Kameras wiederum wie ein Kamerasystem bedienen.

Für die Anwendungsfelder Videoüberwachung und Videobeobachtung bedeutet dies, einen sehr großen räumlichen Zusammenhang in hoher Auflösung auf einem einzigen Bildschirm überblicken zu können. Bei Bedarf können Systembediener per Mausklick beliebig viele Zoom-Fenster öffnen. Somit bleiben auch komplexe Situationen unter Kontrolle. Im Endeffekt handelt es sich beinahe um „virtuelle“ PTZ-Systeme in theoretisch unbegrenzter Anzahl. Für die Nachverfolgung in der Überwachung hat die MFS-Technologie den Vorteil, dass sie den gesamten Bildbereich in der zuvor festgelegten Mindestauflösung aufzeichnet, so dass keine Informationen, z. B. für die forensische Auswertung verloren gehen. Für die Analytik schließlich verspricht die MFS-Technik, mit wesentlich weniger Systemen eine gleichbleibende Mindest-Datenqualität auf dem gesamten Objektraum zur Verfügung zu stellen.

Die MFS-Technologie bietet den Vorteil, dass sämtliche Bildbereiche in der zuvor festgelegten Mindestauflösung auch aufgezeichnet werden, sodass keine Information verloren geht.

Josua Braun, Marketing Director, Dallmeier Electronic

Fazit: Es kommt darauf an

Konventionelle Techniken haben natürlich weiterhin ihre Berechtigung – seien es extreme Detailauflösungsanforderungen, die sich nur mit PTZ-Systemen erfüllen lassen, oder Situationen, bei denen ein großer Gesamtüberblick ohne hochauflösende Details, z. B. im hinteren Bildbereich, ausreicht. Bei der Kombination beider Anforderungen – und vor allem wenn es darum geht, große Bereiche mit einer definierten Mindestauflösung über die gesamte Fläche abzubilden – kann die Multifocal-Sensortechnologie allerdings ihre Vorteile ausspielen. Sicherheitsverantwortliche, z. B. von mittleren und großen Unternehmen, Stadionbetreiber oder Stadtverwaltungen können nämlich ausgedehnte Bereiche mit einer deutlich geringeren Zahl an Systemen zu erfassen. Der Hersteller Dallmeier spricht im Durchschnitt von bis zu 24 Einzelkameras, die durch ein MFS-System ersetzt werden können. So reduzieren sich die Gesamtkosten – vor allem durch die Einsparungen bei der Infrastruktur und bei Installations- und Betriebskosten – auf ein Minimum.

>Voranstehender Beitrag erschien zuerst in: Protector 9/2020

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